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Ich verfolge ein Konzept
verständigungsorientierten Reitens. Die Grundidee dieses Konzeptes,
das weder eine neue Reitweise noch eine alte in neuem Gewand ist,
sondern einen Perspektivenwechsel bezeichnet, läßt sich mit vier Sätzen
umschreiben. Erstens: Die Einsicht des Pferdes in das, was es tut und
in das, was wir verlangen, steht über dem Grundgehorsam der einfachen
Ausführung der Lektion. Damit werden auch Spielräume für die
Artikulation des eigenen Willens des Pferdes eröffnet, der sich in
aller Regel als bloßer Gegenwille zum Willen des als ranghöher sich
behauptenden Reiters äußert. Zweitens: Es kommt vor allem darauf an,
wie das Pferd eine Lektion ausführt. Drittens: Der grundsätzlich passiv
mitschwingende Sitz des Reiters ermöglicht zu unterscheiden, welche
Energie vom Pferd kommt und welche der Reiter aufwenden müßte, um das
Pferd zu treiben.
Konstitutiv für das richtige Treiben ist die Differenz von Schwung und
Schwungkraft, von energischer Kraftentfaltung des Pferdes auf die
vortreibenden Hilfen des Reiters hin (Schwung), von
voluntativ-selbsttätiger Schwungentfaltung und -erhaltung auf seiten
des Pferdes bei konstanter Selbsthaltung ohne aktive Hilfeneinwirkung
des Reiters (Schwungkraft). Viertens: Ich orientiere mich am Ideal des
"Aussetzens der Hilfen". Daraus folgt die Regel: Eine Hilfe zu einer
Zeit (in der Reihenfolge Gewicht - Schenkel - Hand). Das "harmonische
Zusammenwirken" der Hilfen kommt später. Wenn heutzutage in der
Reiterwelt der Aus-druck Verständigung im Zusammenhang mit der Arbeit
und Nutzung des Pferdes verwendet wird, dann immer nur in dem Sinne,
daß der Reiter sich dem Pferd gegenüber wie ein Lehrmeister einem
unmündigen Schüler gegenüber verständlich machen soll. Ziel ist die
gehorsame Ausführung der Lektion. Wenn das Tier die Lektion korrekt
ausführt, dann - so wird üblicherweise angenommen - hat es die Lektion
verstanden. Daß dies in den meisten Fällen nicht der Fall ist, zeigt
immer wieder die Praxis.
"Verständigung" in dem von mir intendierten Sinne bezeichnet das Ideal,
daß Pferd und Reiter über ein Drittes, etwa die gemeinsam ausgeführte
Lektion verbunden sind, und nicht nur über eine Fixierung des Pferdes
auf den Reiter (wie beim Western-reiten), auch nicht über eine völlige
Unter-werfung des Tieres unter den Hilfengehorsam (wie dies, wie
unvollkommen auch immer, in der sogenannten "herkömmlichen" oder
"klassischen Reiterei" üblich ist).
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Im übrigen ist es oft auch gar
nicht erwünscht, daß die Pferde "mitdenken", es kommt vor allem darauf
an, daß sie "funktionieren". So hat in den letzten Jahren die Suche
nach alternativen Reitweisen, Umgangs- und Ausbildungsmethoden
zugenommen, die Erfolg in kurzer Zeit versprechen. Nicht von ungefähr
haben die "Pferdeflüsterer", die im Kern Westernreiter sind, einen
solchen Zulauf. Allen verschiedenen Spielarten der Western-reiterei
gemeinsam ist die Orientierung an der Mechanisierung des Pferdes. Was
das Pferd betrifft, so läuft die Ausbildung über die ganz zu Anfang der
Ausbildung gesetzten kondit-ionierten Reaktionen des Pferdes oder,
anders gesagt, über die Vergewisserung bestimmter Grundreaktionen.
Damit ist klar, daß so etwas wie die "eigene Persönlichkeit" des
Pferdes niemals in den Blick genommen werden kann. Diese Einstellung
der Reiterei und den Pferden gegenüber läßt sich gut mit der Antwort
eines bekannten Westernreiters illustrieren, der auf die Frage, was er
noch in seiner Arbeit realisieren möchte, sagte, er möchte sein Pferd
"immer besser bedienen" können. Demgegenüber bin ich an den primären
Reaktionen des Pferdes interessiert, nicht an sekundären oder
erlernten. Dazu gehört, daß man "das Pferd da abholt, wo es gerade ist"
und auf diese Weise den Ausbildungsweg vom Pferd mitbestimmen läßt.
Dazu gehört auch, daß es nicht ein eindimensionales "Richtig oder
Falsch" gibt: Das Pferd, das auf eine unserer Hilfen reagiert, hat
reagiert. Mit dieser Reaktion müssen wir weiterarbeiten - anstatt auf
die unerwünschte Reaktion z. B. mit Strafe zu reagieren. Das gilt
sowohl für das junge als auch für das gereifte Pferd. Der Unterschied
besteht darin, daß das gereifte Pferd insofern immer unabhängiger vom
Reiter wird, als es sein Gleichgewicht und seine Haltung relativ
selbständig zu erhalten vermag. So stellt es immer höhere Anforderungen
an den Reiter.
Theoretisch bin ich an einer räumlichen Beschreibung des Verhältnisses
von Pferd und Reiter interessiert, sowohl am Boden, beim Führen, in der
Freiarbeit und beim Longieren als auch im Sattel. Dort, wo sich die
Räume, die sich jeweils um den Leib von Pferd und Reiter bilden,
überschneiden, kommen wir mit unseren Pferden wirklich zusammen. Diese
These verbindet die beiden Texte "Leibliche Kommunikation und die
Kommunikation zwischen Reiter und Pferd" und "Die leiblich-räumliche
Struktur des Verhältnisses von Pferd und Reiter".
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